"VON EINEM Wolf DER

kein HUND WERDEN WOLLTE!"


 

Als zarter -aber im Ausgleich dafür etwas zu hell geratener- Welpe, musste Akuma der Neuankömmling schnell lernen, sich seinen Futteranteil in dem kleinen Rudel ohne jegliche Gefühlsduseleien zu erkämpfen.

 

Die oft bissigen Seitenhiebe seiner älteren Mitstreiter waren die beiden Geschwister, ein Weibchen namens Egni und ein Rüde namens Reteid, sie stammten beide aus einem früheren Wurf und dominierten nach den Eltern den Futterplatz. Die Beiden waren fast gleichaltrig und deshalb wesentlich stärker und auch viel Lebenserfahrener als der neue, unwillkommene Futterkonkurrent.

Die willkürlichen Attacken der beiden Geschwister waren mitunter sehr schmerzvoll und wirkten oft wirklich sehr bedrohlich. Da hatte sehr schnell kapieren müssen, dass es auch unter den Wölfen von großem Vorteil war, wenn man hin und wieder etwas smarter sein müsste als die dominanten Konkurrenten!

 

So musste der der kleine Akuma Hals über Kopf lernen, den stärkeren und viel erfahrenen Geschwistern immer irgendwie einen Schritt Voraus zu sein. Ansonsten ging er wohl immer leer aus, sei es bei der Prügelei um das beste Stück Fleisch oder auch nur um die wichtigen alltäglichen kleinen Freiräume.

 

Eine weitere enorme Schwierigkeit dieses nachhaltig umzusetzen war, dass er eine heftige angeborene Kurzsichtigkeit besaß und deshalb nicht allzu weit und auch nicht allzu scharf sehen konnte. Ab und zu unterschätzte er sich in der Höhe oder Weite und knallte volle Kanne unsanft und recht schmerzhaft gegen ein so nicht erwartetes Hindernis. Was natürlich sein gehässiges Publikum immer zu unüberhörbar johlendem Gejaule veranlasste.

 

Peinlich äußerst peinlich!

 

Akuma erkannte, wenn er das alles nicht schnellstens in den Griff bekam, wäre die kommende Zeit ein fortwährender Überlebenskampf für ihn.

 

Auf der hellwachen Suche nach einem geeigneten Ausweg aus dieser offensichtlichen Misere, bemerkte er  beim gemeinsamen Spiel eines Tages, dass er etwas Außergewöhnliches hatte,  etwas was die Geschwister offensichtlich nicht besaßen. Er war, dass wurde ihm langsam aber deutlich bewusst, mit einer sehr nützlichen Gabe ausgestattet, welche ihm möglicherweise einen großen Vorteil im Überlebenskampf verschaffen könnte. Es war das Talent bestimmte Abläufe zu antizipieren und somit war es genau das, was er benötigte, um ihnen bei diversen Entscheidungen das berühmte Schrittchen im Voraus zu sein.

 

Er realisierte sehr schnell, dass ist er, der berühmte: „Casus Knacknuss“, da kommt ihr nicht hin, damit bin ich euch Genossen, weit -sehr weit- voraus.

 

Gut so! - Freie Fahrt für kleine Wölfchen!

 

Aber ganz so einfach war es letztendlich dann doch nicht, denn er war nicht nur mit der Annehmlichkeit der Antizipation ausgestattet, nein er hatte sich auch noch mit seiner doch sehr expliziten Wahrnehmung auseinanderzusetzen. So kam es dazu, dass er bei seinen ausgedehnten Streifzügen über Wiesen und Felder, diverse Dinge sah und hörte, die super spannend und hoch interessant waren, welche er aber aufgrund seines jungen Alters nicht zu beurteilen vermochte oder gar vernünftig erklären konnte. Ergo war er gezwungen seinen vielgestaltigen Beobachtungen augenblicklich aufgeregt bei den Verwandten nachzufragen.

 

So drängte sich ihm zum Beispiel die Frage auf, ob denn die wunderschönen  gelbschwarzen Feuer-salamander dort im glasklaren Weiher eigentlich auch die Vögel singen hören könnten? Oder super interessant, was Hummeln, Bienen und all die hübschen Schmetterlinge mit den Blumen so geschäftig zu erzählen hatten? Denn was ihn daran so sehr verwundertet war, dass diese sehr oft ihren Landeanflug unterbrachen, indem sie kurz vor der Blüte ins Schweben kamen und dann zack sanft auf der Blüte landeten. Was die nur zu bereden haben, fragte sich Akuma oft, aber natürlich hatte er keine befriedigende Antwort darauf.

 

Diese und oder ganz ähnliche Fragen endeten bei den Geschwistern immer mit derselben Reaktion, sie kugelten sich vor lauter Lachen den Hügel hinunter und jaulen vor lauter Vergnügen los, diese Banausen. Ihr geistvoller Kommentar, der hat ja voll den Knall der Typ, folgte prompt und damit war das Thema durch und Akuma stand anschließend abseits und betölpelt in der Landschaft herum.

 

Ging er dann mit seinen drängenden Fragen zu den Eltern Wolf, endete das Gespräch auch mal schnell mit einem unsanften Nasenstüber, was klar und Nachhaltig bedeutete, bleib mir nur vom Leib mit deiner blöden Fragerei.

 

Eines schönen Tages, es waren die ersten warmen Frühlingstage in der weiten Ebene, hörte Akuma versehentlich ein Gespräch zwischen Mutter und Vater Wolf mit.

 

Er hörte seinen hoch geachteten Vater laut und deutlich zu seiner Frau, die auf den schönen Namen Yllit hörte, sagen: „Yllit, ich weiß nicht was mit unserem Jüngsten los ist, mit dem stimmt etwas nicht - der hört ja das Gras wachsen“!

 

Akuma war daraufhin komplett verblüfft, denn so etwas hatte er, bei all den vielen Dingen die er sonst so sah und hörte war das, da war er sich ganz sicher, noch nicht dabei gewesen. Also jumpte er flugs aus seinem geheimen Schlupfloch, direkt raus auf die nahe bunte Blumenwiese. Ohne groß herum zu Drucksen beugte er sich hinunter zur Erde, denn das „Gras wachsen“ wollte er, koste es was es wolle, sich doch einmal ganz genau anhören, das fehlte noch in seiner Sammlung.

 

Ohne auch nur den kleinsten Muckser von sich zu geben tauchte er in das nasse Gras ein und horchte angestrengt tief in die Erde hinein. Zuversichtlich hielt er den Atem an, presste sein Köpfchen noch etwas fester auf die feuchte Erde und horchte und horchte. Aber es war nichts zu hören, aber auch gar nichts war da zu hören, nur das laute Gezwitscher der Vögel über ihm störte beharrlich.

 

Er hob den Kopf und jaulte empört dagegen an, aber es half nichts, die bunten Banausen da oben blieben davon unbeeindruckt und trällerten einfach weiter, ohne sich um ihn und seine wichtige Mission zu kümmern.

 

Dann musste er plötzlich auch noch heftigst Niesen, denn das Gras kitzelte ihn an seiner vorwitzigen kleinen Nase, immer wenn ich mich konzentrieren muss grummelte er ungehalten vor sich hin.

 

So peu a peu interessierten sich auch die kleinsten Mitbewohner spontan für das komisch verdrehte Geschöpf welches dort unten so seltsame Verrenkungen macht. Schon leicht genervt versuchte er es tapfer noch mit dem anderen Ohr, aber auch da war nix wahrzunehmen. Das gibt es doch nicht, da muss doch was sein! Der Vater hatte es ja unzweideutig zur Mutter gesagt, also presste er seinen Lauscher noch fester auf den kühlen Boden.

 

Voller neuer Hoffnung wechselte er mehrmals den Platz und wiederholte seine Untersuchung akkurat und äußerst akribisch. Aber leider war weder hier noch dort etwas zu hören, außer den querköpfigen Vögeln die sich nicht um ihn und seine bedeutende Mission scherten. Auch die ewig neugierigen Wiesenbewohner verhielten sich zu seinem Leidwesen äußerst ignorant, sie summten und brummten um ihn herum als gäbe es hier etwas zu gewinnen.

 

Verzweifelt schüttelte er sein kleines Wolfsköpfchen so stark, dass die beiden zu großen Ohren unten gegeneinander klatschten, das kann doch alles nicht wahr sein dachte er - da stimmt doch etwas nicht? Wo war denn nur der verdammte Fehler? Dass das Gras heute nicht wuchs, konnte nicht sein, Gras, das wusste er wächst immer und er hörte doch sonst alles ganz genau, denn er liebte ja Töne und die leisen Laute und ebenso die huschenden Geräusche welche ihm der Wind zutrug. Verwirrt und unzufrieden trottete er ziellos auf der bunten Wiese herum, und dachte dabei intensiv abermals über die, für ihn, plötzlich seltsam klingenden Worte seines Vaters nach.

 

Sagte er nicht zur Mutter. „… mit dem Jungen stimmt was nicht“!

 

Vaters Ausführungen, das fühlte er plötzlich deutlich und erschreckt, waren nicht erfreulich und wohlwollend, so wie er bisher folgerte.

 

Nein!

 

Sie waren absolut geringschätzig!

 

In seinem Inneren echoten die Worte: „… mit dem Jungen stimmt was nicht – … stimmt was nicht“! Bestürzt vergrub seinen Kopf unter seine kleinen Pfötchen und dachte er müsse nun sterben. Sie hatten ja Recht mit ihrem Hohngelächter, denn nur er sah und hörte ja diese Dinge ganz klar und deutlich, aber „sie nicht“!

 

Dieses Bewusstsein kam mit seiner erschreckenden Klarheit so über ihn, wie ein Blitz aus heiterem Himmel.

 

Dass er komplett „ANDERS“ also nicht „NORMAL“ sein sollte wie all die anderen um ihn herum, erschütterte ihn zutiefst und veränderte von nun an sein offenes und fröhliches Wesen. Er fühlte sich einsam und verlassen und von allem was er liebte abgesprengt!

 

Nun kamen die Selbstzweifel, ja es stimmte wohl, da gab es auch nicht den geringsten Zweifel: „Ein Wolf der mit den Vögeln scherzt und mit Schmetterlingen tobt, und sich dafür interessierte ob Feuersalamander auch hören können, und Bienen mit den Blumen sprechen - war ja wohl alles andere als normal“!

 

Dem musste er unverhohlen zustimmen, ob er wollte oder nicht, und ihnen widerwillig Tribut zollen!

 

Mit Tränen in den Augen und gewaltigem Ballast an den Pfötchen, machte er sich auf den bitteren Weg zurück zum Bau. Er hörte auch die Vögel nicht die aufmunternd nach ihm riefen und er sah auch die wunderhübschen farbenfrohen Schmetterlinge die neckend und kokettierend um ihn herumtanzten nicht mehr.

 

Er war für „seine“ fröhliche und zauberhafte Welt blind und taub geworden, von jetzt auf gleich, für immer zerstört, denn er war ja nicht normal, was auch immer das bedeutet! Der Welten schmerz brannte sich tief in seine noch so junge Seele ein, alles wofür er so fröhlich und offen lebte, ward im Sekundenbruchteil der Einsicht, zu einer bunt schillernden Seifenblase, und – patsch weg!

 

Aber Akuma wäre ja nicht Akuma gewesen, wenn er sich hätte unterkriegen lassen, denn er war sich, trotz seines jungen Alters, mit seinen nicht alltäglichen Erlebnissen gut im Reinen. Er vertraute felsenfest darauf, dass das was er sah und dass das was er ganz genau hörte in Wirklichkeit auch ganz genauso war! Denn er hatte es ja mit den eigenen Augen und Ohren immer wieder klar deutlich wahrgenommen. Da Akuma im Grunde seines Wolfsherz ein heiterer und pro-aktiver Charakter war, checkte er sofort, dass es wohl eher zutreffend sei, dass die anderen in seiner Rotte, in ihrer Flatterhaftigkeit, und unflexiblen Ansichten, sich mal so richtig auf den „Holzweg“ befanden.

 

Ab diesem Zeitpunkt verfestigte sich sein Entschluss aus dem so festgefahrenen Familienland still und heimlich Ade zu sagen und von nun an sein Leben mental frei, geistig unabhängig und, wenn es möglich war, selbstbestimmt zu gestalten und sein eigenes Ding durch zuziehen.

 

Als höchst feinnerviges Wesen in solch einem starren und unbeweglich dominanten Ruderverband konnte, und wollte, er nicht einmal ansatzweise auf deren Erbarmen und Feingefühl warten. Dies hatte er leider Inzwischen zu begreifen lernen müssen.

 

Eines war für ihn sonnenklar, in diesem Umfeld gab es, ohne dass sie selbst es wahrnahmen, nur unbewusst gebändigte Charaktere. Sie besaßen zwar das vererbte grau-schwarze Fell der Wölfe, aber sie taktierten leider zu ihrem ausschließlichen Vorteil. Selbstsichere und Kluge Wölfe stellte er sich ganz anders vor, richtige Wölfe waren Charakterstark, unbeugsam und bei der Jagt immer hartnäckig in der Verfolgung ihrer Ziele!

 

Richtige Wölfe hatten mit Leckerlis nichts zu schaffen!

 

Dass er eine Menge Dinge abweichend als die anderen um ihn herum wahrnahm, war also nicht mehr zu bestreiten und in dieser, „seiner“ Welt kannte er sich schon richtig gut aus und vertraute den eigenen Eindrücken voll und ganz.

 

Er sagte sich forsch: „Die Strafe dessen, der sich sucht, ist, dass er sich findet“!

 

So sei es denn!

 

Somit konnte er natürlich auch niemanden mehr Fragen, und war von nun an auf sich selbst gestellt, zu seiner großen Verwunderung begann er auch langsam zu begreifen: „Einsam bist du immer nur dir gegenüber, nicht einem anderen“!

 

Wie man es auch drehen oder wenden wollte, und egal wie er sich auch anstrengte mit ihnen im gleichen Ton zu Heulen, es half alles nichts, er war und blieb für die allermeisten Wesen seiner Gattung:

„Ein einsamer Wolf“!

 

Viele Jahre später, Akuma war ein angesehenes und geschätztes Mitglied seiner Gattung geworden, hatte eine eigene Familie gegründet und stand auch dort immer im Abseits.

 

Irgendwann einmal, bei einem seiner ausgedehnten Streifzüge, hatte Akuma mit einem entfernten Verwandten, einem Hund namens Dago, Freundschaft geschlossen. Sie hatten neben der vielen Ähnlichkeiten auch zunehmend Freude daran, dass Dago den Part des „bösen“ Wolfes übernahm und im Gegenzug versuchte Akuma imponierend den Hund zu geben, dieses Rollenspiel führte oft und gewollt zu vielen spaßigen Episoden. Was war das doch für ein köstliches Spiel, die beiden Jaulten dabei voller Vergnügen im Duett in den höchsten erreichbaren Tönen. Für Akuma aber bedeutende dieses Spiel wichtige Anhaltspunkte, die er auf seinem späteren Lebensweg als Ausgleich sehr gut verbinden konnte. So gehört eine gehörige Portion Glück bei solch einer sprunghaften und außergewöhnlichen Lebensweise unter allen Umständen dazu, es ist oft die ergänzende Essenz.

 

Nun nach all den vielen Jahren des Herumstreunen, er hatte fast die gesamte Welt erkundet und dort auch viele, sehr viel Hund getroffen, aber auch, und das war ihm sehr wichtig, auch einige wenige Wölfe. Beruhigt realisierte er, dass es sie noch gab und das freute ihn sehr, ab diesem Zeitpunkt fühlte er sich nie wieder einsam.

 

Nun alt und auch etwas weise geworden sitzt er, behaglich und besonnen in seinem kleinen und gemütlichen Bau ganz in der Nähe einer großen Stadt. Die wärmende Sommersonne lugt durch die Öffnung und taucht sein Domizil in ein friedlich mildes Licht. Sanft lächelnd sinnt er darin über das an ihm vorbei paradierende Leben nach, zufrieden und ohne Bitterkeit schaut er auf sein erfülltes Leben zurück.

 

Eigentlich denkt er in sich gekehrt schmunzelnd, hätte ich ja doch ganz gerne eine nette kleine Familie mit zwei Wölflein gehabt, aber es wurde nur eines, und das ist mir leider irgendwie auch noch abhanden gekommen.

 

Das war wohl nix, irgendwie nicht so mein Ding, resümierte er doch leicht traurig.

 

Nicht gerade Entzückt aber unmissverständlich wird die Erkenntnis immer eindeutiger, dass das Leben eines „normalen“ Hundes bei ihm niemals funktioniert hätte, dazu war er doch zu sehr der unnahbare Außenseiter!

 

Er konnte sich deshalb aber auch keine übertriebenen Vorwürfe machen, denn er hatte es ja doch immer wieder versucht, aber es war ihm dann auch immer wieder entglitten!

 

Was bleibt, ist die Erinnerung an erfüllte Träume, die Freude über die vielen exzentrischen Abenteuer, und:

- Der Traum von einem, -

„knusprigen Rotkäppchen“ !

 

Es hilft ja alles nichts resümierte er, sei es drum, "es ist wie es ist und es ist gut so"!

 

Denn er war ja doch schon immer, bisweilen auch sehr gerne, ein:

 

 "Ein einsamer Wolf"!

 

 

© by Rainer Karl Westerfeld, erzählt im Juni 2020